Statement des Netzwerk GI an den Senat für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen von Berlin. Veröffentlicht parallel mit dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg (siehe Pressemitteilung).
Das folgende Statement adressieren wir aus der Zusammenarbeit im Netzwerk GI (Netzwerk Gemeinwohlorientierte Immobilienakteur*innen) an die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, die Senatsverwaltung für Finanzen sowie an die Politiker*innen des AGH im Ausschuss für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen und im Hauptausschuss. Das Papier ist das Ergebnis eines Fachgesprächs am 06.09.24 in der StadtWERKSTATT Friedrichshain-Kreuzberg auf dem Dragonerareal, bei dem Vertreter*innen der organisierten Akteur*innen des Genossenschaftswesens, der gemeinwohlorientierten Bauwirtschaft bzw. Immobilienverwaltung, der Zivilgesellschaft sowie der Stadtrat für Bauen, Planen und Kooperative Stadtentwicklung und Vertreter*innen der bezirklichen Stadtplanung im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg anwesend waren. Die beteiligten Genossenschaften sind organisiert im Bündnis junge Genossenschaften (BjG) und teilweise auch Mitglieder im BBU Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e.V. Am Fachgespräch teilgenommen haben zudem Vertreter*innen von Wohngruppen, die unterstützt durch die „Netzwerkagentur GenerationenWohnen“, teilweise seit Jahren aktiv nach Standorten für Wohnprojekte suchen und starkes Interesse am Dragonerareal haben.
Wir sind entsetzt von den aktuellen Äußerungen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen bezüglich der Entwicklungsperspektiven am Rathausblock/Dragonerareal im Stadtteil Kreuzberg. Die im letzten Halbjahr vorbereite und ohne Einbeziehung des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg vollzogene Festlegung, den Anteil der Flächen für Genossenschaften nahezu zu halbieren und dafür mit der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM) mehr entwickeln zu wollen, kommt einer Aufkündigung der seit 2019 in einer mit 6 Partner*innen geführten Kooperation im Modellprojekt gleich. Damit werden die im „Zukunftsrat“ getroffenen Absprachen im kooperativen Verfahren gebrochen und die generelle Ausrichtung des seit 2015 zivilgesellschaftlich erkämpften Projektes in Frage gestellt. Zudem stehen die gemeinwohlorientierten Privaten vor der Situation noch nicht mitwirken zu können, obwohl das Land Berlin dringend preisgünstigen und der Spekulation entzogenen Wohnraum benötigt.
Umsetzung in ferner Zukunft kann keine Lösung sein
Einerseits entwirft der Senat ein „Schneller Bauen Gesetz“ und andererseits bremst die gleiche Senatsverwaltung die Entwicklung im Modellprojekt Rathausblock/Dragonerareal. Der Bau von rund 100 Wohnungen, die über genossenschaftsähnliche Akteur*innen entwickelt werden sollte, kommt nicht in Gang. Die Begründung ist, dass ein Konzeptverfahren, über welches ein gemeinwohlorientierter Bauträger gefunden werden könnte, erst nach Abschluss des Bebauungsplanverfahrens (B-Plan) sicher durchgeführt werden könnte. Gleichzeitig wird mit der WBM aber bereits am B-Plan gearbeitet, um Bauanträge schon zum Zeitpunkt der sogenannten Planreife in 2025 stellen zu können. Die Festsetzung des B-Plans ist für das 1. Quartal 2026 vorgesehen. Anschließend sollen Konzeptverfahren durchgeführt werden, deren Laufzeit bis zu 31 Monate betragen kann. Der Zuschlag könnte dann voraussichtlich Ende 2028 erfolgen, was bedeutet, dass nach Planung, Bauantrag und Herstellung der Erschließung erst ca. 2032 der Hochbau beginnen könnte. Das ist – optimistisch gerechnet – in 8 Jahren.
Im Modellprojekt ein modellhaftes Verfahren entwickeln
Die einst für das Projekt eingetretene Zivilgesellschaft käme also nach rund 17 Jahren extrem aufwändiger Beteiligung zu ein paar wenigen genossenschaftlichen Wohnungen. Dabei könnte alles viel schneller, billiger, einfacher gehen und dabei auch noch mehr sozialer Wohnungsbau erzeugt werden. Die zur Lösung notwendigen Akteur*innen müssten nur die bereits in der Kooperation vorhandenen Gremien ernst nehmen, um gemeinsam das Verfahren endlich auf „Ermöglichung“ zu drehen. Hier sind nicht die äußeren Rahmenbedingungen – steigende Baukosten, Fachkräftemangel, hohe Bauzinsen – dafür verantwortlich, dass der Wohnungsbau nicht vorankommt, sondern die Senatsverwaltung selbst, die die Chancen eines Modellprojektes nicht nutzt, sondern alle Bauwilligen in Bürokratie erstickt.
Risiko durch langwierige Verfahren minimieren
Zwei Faktoren belasten die Entwicklungsmöglichkeiten erheblich:
Verfahrensdauer: Die jetzt veranschlagte Dauer des Verfahrens erhöht die Risiken für die Entwickler, denn die Förderbedingungen ändern sich schneller als die Verfahren vorankommen. Ein aufgestelltes Finanzierungskonzept bricht so all zu leicht zusammen.
Konzeptverfahren: Die Kommune verspricht sich durch Konzeptverfahren kostengünstig an das beste Umsetzungskonzept zu kommen, doch das einseitig bei den Bewerber*innen abgeladene Planungsrisiko kann bei den gegebenen Rahmenbedingungen nicht mehr getragen werden und so scheitern leider nicht nur die Konzeptverfahren, sondern auch die gewünschten Neubauentwicklungen bleiben weit hinter den Möglichkeiten. Andererseits muss eine transparente Art von Konzeptwettbewerb stattfinden, um den eventuell auftretenden Eindruck von gerichteten Direktvergaben zu vermeiden und die Möglichkeit zur Reduzierung des Erbbauzinses als Unterwertvergabe auf Grund der Gemeinwohlorientierung des Projektes beizubehalten. Entscheidend ist der Zeitpunkt, an dem wir als gemeinwohlorientierte Private, mit der Sicherheit umsetzender Bauträger zu sein, ins Entwicklungsverfahren eintreten können.
Umsetzende schnell ins Verfahren bringen
Am Rathausblock wird aktuell in Zusammenarbeit von Senat/Bezirksamt, BIM und der WBM am Bebauungsplan gearbeitet. Dabei werden z.B. hinsichtlich des parallel entstehenden Entwurfs der Verwaltungsvereinbarung auch Aufgaben der Erschließung behandelt, die später für einen Dritten – z.B. eine Genossenschaft – vorgegeben werden. Dabei dürfen nicht Probleme bei den Privaten abgeladen werden, die im Moment noch nicht beteiligt sind. Ohne frühe Einbeziehung des Umsetzungspartners wachsen die Risiken zur Projektkostenerhöhung und die Umsetzungsfähigkeit der Gemeinwohlorientierung des Projekts kann Schaden nehmen. Die Stadtgesellschaft hat keine Zeit mehr, vielversprechende Projekte vor sich hin dümpeln zu lassen. Wir brauchen eine Dynamisierung der Verfahren, um den benötigten Wohnungsbau voranzutreiben.
Modellhaftes Konzeptverfahrens mit früher Entscheidung für eine Anhandgabe aushandeln
In einem bereits konzeptionell weit entwickelten Projekt wie dem Modellprojekt Rathausblock/Dragonerareal sind die Anforderungen an die Bewerber*innen in einem Konzeptverfahren derartig detailliert vorbestimmt, dass auf der städtebaulich-architektonischen Ebene kaum deutliche Unterschiede zwischen den eingereichten Konzepten zu erwarten sind. Entscheidend ist hier vielmehr, welche Akteure und Nutzer*innen das gewünschte Konzepte überhaupt umsetzen können. In der funktionierenden Kooperation im Projekt sollten die Auswahlkriterien für eine „frühzeitige Bauträgeranhandgabe im Konzeptverfahren“ ausgehandelt werden. Mit dieser Vereinfachung des Wettbewerbsverfahren ginge der Kommune kein möglicher Zuwachs an Qualität verloren, sondern einzig die Wahrscheinlichkeit würde deutlich erhöht, dass ein geeignetes Konzept tatsächlich umgesetzt werden kann.
Nicht Grundstück sucht Konzept – sondern Konzept sucht Umsetzer
Wir fordern am Modellprojekt Rathausblock die Umsetzung eines „gemeinwohlorientierten Konzeptverfahrens“, bei dem die Auswahl eines Bewerbers als Bauträger auf Basis eines textlichen Konzeptes stattfindet. Die kostspieligen Planungsleistungen sollten erst danach vom ausgewählten Bauträger innerhalb einer kurzen Anhandgabefrist beigebracht werden müssen, ebenso wie eine abgesicherte Finanzierung. (Siehe dazu unser Papier „Berlin braucht das gemeinwohlorientierte Konzeptverfahren“.) Sollte es dem Bauträger innerhalb der Frist von z. B. einem Jahr nicht gelingen, das Konzept gesichert umzusetzen, wird der nächst-best bewertete Bewerber aufgefordert.
Das politische Handeln am Rathausblock steht in eklatantem Gegensatz zur Regierungserklärung
Den politischen Willen, Neubau durch gemeinwohlorientierte Private zu fördern und zu beschleunigen, hat die aktuelle Berliner Landesregierung bereits formuliert. Es gilt jetzt die Verfahren zur Umsetzung so anzupassen, dass tatsächlich gebaut werden kann.
In den Richtlinien der Regierungspolitik des amtieren Berliner Senats 2023–2026 wird an mehreren Stellen die Förderung des Genossenschaftswesens ausdrücklich genannt (siehe folgende Zitate). „Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften sollen verstärkt mit Baugrundstücken versorgt werden.“ Wie schon unter der Vorgängerregierung „hält der Senat daran fest, grundsätzlich keine landeseigenen Grundstücke oder Wohnungen zu verkaufen. Hiervon darf bei gemeinwohlorientierten Wohnungsbaugenossenschaften im Einzelfall abgewichen werden. Mit dem Ziel der Durchmischung bei größeren Quartiersentwicklungen auf landeseigenen Grundstücken sollen Genossenschaften in angemessener Weise bei der Vergabe von Flächen berücksichtigt werden. Die Vergabe kann durch Erwerb oder im Wege eines Erbbaurechts mit langfristiger Mietpreis- und Belegungsbindung erfolgen. Hierbei kann ein vereinfachtes Konzeptverfahren angewandt werden, wenn die soziale Bindung grundbuchlich gesichert wird.“
Aktuell sind die Rahmenbedingungen für Immobilienentwicklungen für alle Akteur*innen herausfordernd. Landeseigene Wohnungsbauunternehmen (LWU) haben allerdings einige Vorteile, denn ihnen stehen als politisch geförderte Betriebe insbesondere bei der Finanzierung andere Möglichkeiten zur Verfügung. Private gemeinwohlorientierte Immobilienakteure sind deshalb aber nicht aus dem Rennen, sondern sie sind die geeigneten Umsetzungspartner für Entwicklungen in Kooperation mit den Landeseigenen, um besondere Qualitäten in die Quartiere zu bekommen. Am Beispiel Rathausblock/Dragonerareal kann exemplarisch aufgezeigt werden, dass der Schlüssel zum Bau des Quartiers in hoher Qualität mit sozialer Verantwortung im Verfahren liegt.
Vorteile durch gemeinwohlorientierte Private am Rathausblock und in der ganzen Stadtentwicklung nutzen
Wenn die Landespolitik tatsächlich, wie es in der Regierungserklärung zu lesen ist, auf die gemeinwohlorientierten Privaten in der Stadtentwicklung als Neubau-Akteur*innen setzen will, dann müssen jetzt Anpassungen in den Verfahren umgesetzt werden. Das Land sollte nicht auf die Vorteile verzichten, die genossenschaftliche und andere gemeinwohlorientierte Entwickler*innen für die Quartiere bringen:
- Grundsätzlich ermöglichen sie eine demokratisch organisierte Form des Wohnens mit ausgeprägten Mitbestimmungsrechten für die Bewohner*innen, die auch eigentumsrechtlich beteiligt sind.
- Die Gebäude sind nachhaltig für die gemeinwohlorientierte Nutzung gesichert, weil Investitionen mit Renditeabsichten ausgeschlossen sind.
- Das Mietniveau bleibt langfristig stabil und steigt nicht mit dem Marktumfeld. Die großen Bestandsgenossenschaften und die jungen Genossenschaften dämpfen so gesamtstädtisch stark das Mietniveau.
- Gemeinwohlorientierte haben nicht nur das Potenzial größere Projekte umzusetzen, sondern mit der Größe wächst das Interesse an der Bauträgerschaft.
- Belegung mit einem erheblichen Anteil an Neu-Mitgliedern ist üblich.
- Gemeinwohlorientierte haben Möglichkeiten, besondere Wohnformen des Gemeinschaftswohnens mit bereits aktivierten Nutzer*innengruppen umzusetzen.
- Das aktive Gestalten, Mitmachen und Einbringen der Nutzer*innen gehört zur Identität von Kreuzberg und zur Genese des Modellprojektes Rathausblock.
Fazit: Jetzt Gelingensbedingungen herstellen
Die Faktoren für das Gelingen von Entwicklungen durch gemeinwohlorientierte Private sind:
- Das Vergabeverfahren muss vereinfacht werden, um das Ausfallrisiko zu minimieren und die Umsetzungswahrscheinlichkeit zu erhöhen.
- Die realisierten Kooperationsleistungen im Modellprojekt soll dazu genutzt werden, um gemeinsam Bewertungskriterien für ein vereinfachtes Konzeptverfahren auszuhandeln.
- Als mögliche Bauträger*innen sollten nur gemeinwohlorientierte Akteur*innen zugelassen werden.
- Die Grundstücke/Erbbaurechte für gemeinwohlorientierte Private am Rathausblock sollten nicht parzelliert in unterschiedliche Konzeptverfahren gebracht werden, so dass das Projekt eine relevante Größe bekommt (ca. 100 Wohnungen und Gewerbeflächen).
- Gebote für Erbbaurechtszinsen nahe Null müssen weiterhin ermöglicht werden – wie es bereits Realität ist. Dadurch wird auch eine Vergleichbarkeit zu den Grundstückskosten erreicht, welche für die LWU mittels Einbringung zu vernachlässigen sind.
Der gleiche Text im PDF-Viewer:
Presseecho:
- Der Tagesspiegel, 02.10.2024 von Theresa Roelcke: Kreuzberger Dragonerareal: Streit um genossenschaftlichen Wohnungsbau — Der Senat will dem landeseigenen Wohnungskonzern WBM mehr Grundstücke im Dragonerareal geben als geplant. Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) und Genossenschaften sehen ihr Projekt in Gefahr.