Das Sport- und Erholungszentrum ist ein begehbares Manifest der späten DDR, eine gebaute Freizeitutopie im Übergang zwischen den Systemen
Das Sport- und Erholungszentrum (SEZ) in Berlin-Friedrichshain ist ein Schlüsselbau der späten DDR und markiert einen einzigartigen Schnittpunkt zwischen sozialistischer Bauambition, internationaler Ingenieurskooperation und gesellschaftlicher Transformationsstrategie. Es wurde Ende der 1970er Jahre als eines der letzten großen repräsentativen Infrastrukturprojekte der DDR realisiert – und zwar nicht in geschlossener Eigenregie, sondern unter Mitwirkung internationaler Partner: Planer*innen und Firmen aus Schweden, der Bundesrepublik Deutschland und sogar Lieferanten aus den USA (z. B. für die Bowlingbahnen) waren an Planung, Konstruktion und Ausstattung beteiligt.
Maßgeblich beteiligt war die Westfirma Hochtief aus Essen. Als eine Art „Flaggschiff-Projekt“ der Freizeitarchitektur vereinte das SEZ somit sowohl transnationale Kooperation als auch den sozialistischen Anspruch auf kollektive Teilhabe an Erholung, Gesundheit und Freizeitkultur.
Ein bemerkenswerter Aspekt der Entstehungsgeschichte liegt in der Biografie des leitenden Architekten Günter Reiß. Nach seiner Tätigkeit an der Bauakademie der DDR unter Hermann Henselmann floh Reiß 1972 über die Mauer in den Westen – ein Schritt, der ihn eigentlich aus allen DDR-Planungsprozessen hätte ausschließen müssen. Und doch: Als Mitarbeiter von Hochtief wurde er mit der Planung des SEZ betraut – im Auftrag der Aufbauleitung Sondervorhaben Ost unter Prof. Dr. Erhardt Gißke.
Da Reiß offiziell als Republikflüchtling galt, durfte sein Name nicht auf Plänen erscheinen. Er durfte die Baustelle nicht betreten und sah sein Werk erst Jahre später – ein Werk, das gleichwohl deutlich seine Handschrift trägt. Die Tatsache, dass ein westdeutscher Architekt mit DDR-Vergangenheit das zentrale Prestigeprojekt der späten DDR entwarf, zeigt wie sehr bei diesem Bau symbolische Strahlkraft über ideologische Dogmen gestellt wurde. Das SEZ steht damit nicht nur für Freizeitkultur, sondern auch für einen pragmatischen Brückenschlag mitten im Kalten Krieg.



Im Zentrum der Konzeption stand die Idee, dem restriktiven Alltag im geteilten Berlin eine Architektur des Freiraums entgegenzustellen. Der Bau war Teil einer psychopolitischen Strategie der DDR-Führung, den Bürger*innen trotz wachsender Abwanderungstendenzen ein modernes, attraktives Lebensumfeld zu bieten – ein fröhlicher innenarchitektonischer Trost als Gegenstück zur harten Abgrenzung nach Außen durch die Mauer.
Die klare modulare Formensprache, das gläserne Foyer, die großen Spannweiten und das durchlässige Raumgefüge zeigen ein unübersehbares Bemühen um architektonische Modernität und internationale Anschlussfähigkeit. Tatsächlich ist ein Gebäude entstanden, das dem Vergleich zu westlichen Prestigebauten wie den Olympiabauten in München oder dem Centre Pompidou in Paris standhält – nicht nur in Bezug auf die architektonische Ambition und die eingesetzten Ressourcen, sondern auch hinsichtlich seines kulturpolitischen Anspruchs, ein Symbol für Fortschritt und gesellschaftliche Teilhabe zu sein.
„Die Leute sollten glücklich sein, Freizeit genießen. Es war ein Stück Freiheit.“
Günter Reiß, federführende Architekt des SEZ
Diese dichte politische, soziale und bauliche Bedeutungsaufladung macht das SEZ nicht nur zu einem funktionalen Bauwerk, sondern zu einem gebauten Zeitdokument mit symbolischer Tiefe – ein „betoniertes Argument fürs Bleiben“, wie man es überspitzt formulieren könnte. Es vereint die letzten utopischen Versprechen der DDR mit der pragmatischen Öffnung zur internationalen Bauindustrie.



Dass dieses Gebäude heute noch in wesentlichen Teilen erhalten ist – strukturell, räumlich, atmosphärisch –, gibt uns die seltene Gelegenheit, ein einzigartiges Beispiel spätsozialistischer Bau- und Kulturpolitik in situ zu bewahren. Die bisherige Einordnung als „besonders erhaltenswerte Bausubstanz“ (BEB) greift zu kurz, denn sie würdigt weder die internationale Entstehungsgeschichte noch die psychopolitische Funktion des Baus.
Originaldokument der DDR-Planung (1978):„Sport- und Erholungszentrum Berlin – Hauptstadt der DDR. Dokumentation zur Investitionsentscheidung“
Zur aktuellen Ablehnung des Denkmalschutzes: Ein historisches Missverständnis
Dass das Landesdenkmalamt Berlin unter der Leitung von Landeskonservator Christoph Rauhut dem SEZ nun erneut den Denkmalstatus versagt, obwohl es zugleich als „schutzwürdig“ eingestuft wird, offenbart ein grundlegendes Missverständnis: Der bau- und kulturgeschichtliche Rang des Gebäudes wurde bislang nicht in einem kohärenten Narrativ eingeordnet, das seine Bedeutung für die gesamtdeutsche Geschichte lesbar macht. Doch genau das wäre Aufgabe der Denkmalpflege im 21. Jahrhundert: nicht nur formale Kriterien zu prüfen, sondern auch gesellschaftliche Erinnerungsräume zu erkennen und zu erhalten, bevor sie verschwinden.
Die Ablehnung steht auch im Widerspruch zum hervorragenden Erhaltungszustand des Gebäudes. Die massive Bauweise, die großzügige Tragstruktur und die solide technische Ausstattung – teils mit westlicher Spitzentechnologie – zeigen, dass hier große Ressourcen investiert wurden, um ein langlebiges Prestigeobjekt zu errichten. Es ist kein maroder Altbau, sondern ein funktional umnutzbares Raumgefüge mit hoher baulicher Flexibilität.



Gerade weil das SEZ in dieser Substanz noch vorhanden ist, lässt sich sagen: Dieses Gebäude kann warten. Warten auf eine breitere gesellschaftliche Neubewertung der DDR-Architektur, wie sie in vielen Städten Ostdeutschlands bereits eingesetzt hat. Warten auf eine klügere kulturelle Praxis, die mehr erkennt als nur Abrisskosten und Grundstückserlöse. Warten auf eine Zeit, in der nicht ein Senator für Stadtentwicklung von oben Druck auf eine Wohnungsbaugesellschaft macht, an dieser Stelle möglichst schnell gesichtslose Wohnbauten hochzuziehen.
Aktuelle Veranstaltung zum Thema:
Stadtwerkstatt zur Bauwende: Umbau statt Abriss
Di., 21. Oktober 2025, 17:30 – 21:30
In der Stadtwerkstatt „Umbau statt Abriss“ nehmen wir drei aktuelle Standortprojekte im Bezirk in den Fokus: Hafenplatz, SEZ und Baerwaldbad.
Dabei sollen die Prozesse jeweils einen konkreten Schritt weiter gebracht werden: in Richtung sozialverträglicher Entwicklung, ökologisch verantwortlicher Bestandserneuerung und kooperativer Planung.
Ein Moratorium statt vollendeter Tatsachen
Vor diesem Hintergrund wäre es denkmalpolitisch wie stadtentwicklungspolitisch fatal, jetzt vollendete Tatsachen zu schaffen – etwa durch die Entfernung der Bausicherungen, durch entkernende Maßnahmen oder durch Abrissgenehmigungen vor Abschluss einer öffentlichen Diskussion über die Zukunft des Ortes.
Die Tatsache, dass viele Hallenteile heute noch funktional nutzbar wären – etwa die Sporthallen – und dass auch eine baukulturell sensible Umnutzung der früheren Spaßbadebereiche denkbar ist (siehe Beitrag von 03_Architekten zur WBM-Machbarkeitsstudie), spricht deutlich für ein Moratorium. Berlin fehlt es nicht an Abrissprojekten, sondern an gelungenen Beispielen der Transformation. Das SEZ könnte ein solches Beispiel werden: als Hybrid aus kulturellem Gedächtnisort, sportlicher Infrastruktur und sozialräumlicher Neuverhandlung.



Zumal der Bedarf offenkundig ist: Das Soziale Infrastrukturkonzept (SIKO) für den Stadtteil zeigt dringenden Handlungsbedarf für Flächen dieser Art – warum also ein Gebäude vernichten, das schon da ist?
Das SEZ ist kein nostalgischer Betonklotz.
Das Sport- und Erholungszentrum ist ein historisch aufgeladenes, zukunftsoffenes Monument – und verdient als solches die entsprechende Würdigung. Es braucht hier eine Planung, die auf erhaltende Nutzung ausgelegt ist und deshalb einen neuen Bebauungsplan.
Nicht weil das SEZ makellos ist, sondern weil es von Bedeutung ist: für Berlin, für den Umgang mit der DDR-Geschichte und für eine Bauwende, die mehr will als Neubau.

Alle Fotos auf dieser Seite wurden von Mitgliedern der Initiative „SEZ für alle“ gemacht.
Weiterführende Quellen / Literaturhinweise
- Baunetz — Zum geplanten Abriss des SEZ in Berlin „Im Januar hat der Berliner Senat bekanntgegeben, dass der Komplex des Sport‑ und Erholungszentrums (SEZ) abgerissen werden soll.“
- BauWelt — SEZ Berlin: Architektonische Zuschreibung & Ost‑West‑Kooperation „Als verantwortlicher Entwurfsverfasser der ‚Schlüsselfertig‑Abteilung‘ von Hochtief zeichnete Günter Reiß die Pläne.“
- Kunstgeschichte.org — Rote Liste: SEZ Berlin Detaillierte Beschreibung der Beteiligten und der internationalen Kooperation (z. B. schwedische Firmen, Hochtief)
- Berliner Zeitung — Der geheime SEZ‑Architekt: Günter Reiß Porträt und Selbstaussagen des Architekten zur Planung des SEZ
- Offener Brief zum Erhalt des SEZ (AK Berlin) Fachliche Positionierung zur Denkmalswürdigkeit und Nennung der beteiligten Planer
- Tagesspiegel — Machbarkeitsstudie für Areal SEZ vergeben Kritik an ausgebliebener Bestandsbewertung, Verweis auf Prestigecharakter