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Bauwende in der Praxis: Sozialverträgliche Sanierungen im internationalen Vergleich

Hier werden einige sozialverträgliche Sanierungsprojekte aus Deutschland und Europa aufgelistet, die exemplarisch zeigen, wie große Wohnkomplexe mit kommunaler Steuerung modernisiert werden können, ohne Mieter*innen zu verdrängen. Die Projekte betonen den Erhalt des Bestands, den sozialen Verbleib der Bewohner*innen bei niedrigen Mieten und eine hohe ökologische Qualität.

Übersicht: Über die hier aufgeführten Sanierungsprojekte mit sozialverträglicher Wohnraumentwicklung

OrtProjektnameZeitraumBesonderheit
BerlinMehringplatz – Block 616, HOWOGE2021–2025Sozialplanverfahren, Sanierung im laufenden Betrieb, denkmalgerechte Maßnahmen
LeipzigGroßwohnsiedlung Grünauseit 1990er JahreKommunal gesteuerter Bestandserhalt statt Rückbau, langfristige Mieterbindung
Edinburgh (GB)Cables Wynd House & Linksview Housegeplant ab 2024Denkmalschutz, Mieterbeteiligung, barrierefreier Umbau, sozialverträglicher Verbleib
Sheffield (GB)Park Hillab 2006 (Phasen)Retrofitting unter Denkmalschutz, Nutzungsmix, Erhalt des strukturellen Rahmens
London (GB)Cressingham Gardens, Lambethab 2012 (Planungsphase)Bewohner*innen entwickeln eigenen Sanierungsplan („People’s Plan“) gegen Abriss
Leeds (GB)Greenhouse (ehem. Shaftesbury House)Umbau 2010Energetischer Umbau mit Bestandserhalt, Kreislaufwirtschaft, soziale Mischung
Amsterdam (NL)DeFlat Kleiburg, Bijlmermeer2014–2016DIY-Sanierung durch Käufer*innen, minimalinvasive architektonische Eingriffe
Zürich (CH)Friesenberg, FGZSanierung ab 2025Erhalt historischer Gartenstadtsiedlung, Ersatzwohnkonzept, Anergienetz

Berlin – Kreuzberg: Mehringplatz am „Block 616“, HOWOGE (DE)

Die landeseigene HOWOGE hat zwischen 2021 und 2025 insgesamt 372 Wohnungen am Mehringplatz in Berlin-Kreuzberg modernisiert, darunter auch denkmalgeschützte Gebäude. Dabei wurden Wasser­leitungen erneuert, Bäder instand­gesetzt, Fassaden saniert sowie Aufzüge modernisiert – und das bei laufendem Miet­betrieb. Ein Sozial­plan­verfahren begleitete das Projekt, in dem rund 190 Haus­halte unterstützt wurden, um die Belastungen niedrig zu halten.

Ziel war es, den Bestand zu erhalten, Miet­preis­steige­rungen verträglich zu gestalten und damit soziale Verdrängung aktiv zu verhindern. Die Maßnahme zeigt, dass kommunale Wohnungsunternehmen auch in Berlin wichtige Motoren einer sozialen Bauwende und Vorbild für weitere Stadt­entwicklungs­prozesse sein können.

Leipzig-Grünau: Sanierung statt Abriss im ostdeutschen Großsiedlungsbau (DE)

Foto (Wikipedia, CC BY 3.0): Joeb07

Grünau gilt als Paradebeispiel einer ostdeutschen Großwohnsiedlung der 1970er/80er Jahre – und als sozial herausgeforderter Raum. Anders als viele andere Städte hat Leipzig früh entschieden, den Bestand langfristig zu sichern, statt ihn großflächig zurückzubauen. Über Jahrzehnte wurden Plattenbauten abschnittsweise saniert, Dächer gedämmt, Aufzüge erneuert und Gemeinschaftsflächen reaktiviert. Die Stadt koordiniert den Erhalt gemeinsam mit der kommunalen LWB und weiteren Bestandshaltern. Besonders hervorzuheben ist der Fokus auf eine soziale Durchmischung und Mieterbindung: Rund 80 % der Bewohner*innen sind nach wie vor im Quartier ansässig.

Bemerkenswert ist die Langfristigkeit der Strategie: Die Großsiedlung wurde nicht zur Problemzone erklärt, sondern beharrlich in ihrer Funktion als Wohnort stabilisiert.

Links:

Edinburgh – Cables Wynd House & Linksview House (Leith Banana Flats) (GB)

Foto von Wikipedia (CC BY-SA 2.0): Tom Parnell

In Leith, Edinburgh, werden 310 Wohnungen in zwei ikonischen 1960er-Jahre Sozialwohnungsbauten saniert – Cables Wynd House und Linksview House, auch bekannt als „Banana Flats“. Die Gebäude stehen unter Denkmalschutz und werden mit rund 69 Mio. £ umfassend modernisiert: Dämmung, neue Fenster, Lüftung, Brandschutz, Sprinkleranlagen, neue Aufzüge und barrierefreie Erschließung sind Teil des Pakets. Gleichzeitig werden Außenräume neugestaltet – mit Spielplätzen, Versickerungsflächen und artenreichen Pflanzungen. Die Bewohner*innen bleiben teilweise auch während der Sanierung im Bestand, begleitet durch ein temporäres Umzugsmanagement.

Herausragend ist die intensive Beteiligung der Mieterschaft – von der Fassadengestaltung bis zur Priorisierung der Maßnahmen – in einem denkmalgeschützten Ensemble mit hoher Symbolkraft.

Sheffield – Park Hill: Großwohnsiedlung im Retrofitting (GB)

Park Hill gilt als Europas größte denkmalgeschützte Nachkriegs-Großwohnsiedlung (Grade II*-Listing). Errichtet von 1957 bis 1961 als „Straßen in der Luft“-Idee, bot sie bis zu 1.300 Wohnungen, Geschäfte, Schulen und Nachbarschaftseinrichtungen auf großen Deckenebenen über dem Straßenniveau. Doch in den 1980er Jahren begann der soziale und bauliche Verfall. 1998 wurde sie ­ gegründet durch ihren kulturellen Wert – unter Denkmalschutz gestellt.

Ab 2006 übernahm der Entwickler Urban Splash gemeinsam mit Places for People die Langzeitentwicklung. In mehreren Phasen erfolgte eine behutsame Transformation unter dem Prinzip „Retentionist Strategy“: Strukturrahmen und Betonraster blieben erhalten, während Fassaden mit farbiger Dämmung modernisiert wurden. Altmaterialien wurden gereinigt und gebraucht erhalten, Dämmung und neue Fenster reduzieren den Wärmeverlust deutlich.

Mieterstruktur wandelte sich: Sozialwohnungen, studentischer Wohnraum (z. B. Beton House mit 356 Einheiten) sowie private Miet- und Eigentumswohnungen sorgen für eine neue Durchmischung. Insgesamt bleibt etwa ein Viertel der Einheiten sozial gebunden. Neu geschaffene Gewerbeflächen, Cafés, Kita und Grünräume stärken die Qualitäten im Quartier und verbinden die Gebäude mit der Innenstadt.

Bemerkenswert ist die Balance zwischen Denkmalschutz, moderner Nutzung und ökologischer Aufwertung: Park Hill zeigt, wie städtische Großstrukturen erneuert werden können und erhaltenswert bleiben.

Links:

London – Lambeth, Gartenstadt „Cressingham Gardens“: Mit Bewohnern für den Erhalt kämpfen (GB)

Foto (Wikipedia, CC BY-SA 4.0): Paul Watt

Cressingham Gardens ist eine Gartenstadtwohnsiedlung in London, errichtet 1968–1978 mit 306 Einheiten als niedriggeschossiger, hochverdichteter Stadtraum. Anders als zur Zeit ihrer Entstehung üblich, wurde auf autogerechte Planung verzichtet: Kleine Gartenhöfe und fußläufige Wege fördern bis heute den sozialen Zusammenhalt.

Bereits 2012 plante das Lambeth Council den Abriss der Siedlung zugunsten einer verdichteten Neubebauung, obwohl der bauliche Zustand vieler Gebäude gut war. Die Bewohnerinnen organisierten daraufhin einen „People’s Plan“ (PDF), entwickelten eigene Sanierungsoptionen mit Nachverdichtung (~38 zusätzliche Einheiten) und führten zwei Judicial Reviews gegen das Vorhaben. In einer internen Konsultation erhielt die Option „General Refurbishment“ [Generalsanierung] eine überwältigende Zustimmung der Mieterinnen – deutlich vor der Abrissvariante.

Obwohl die Kommune an ihren Abrissplänen festhielt, wurde das Projekt nach massiver Kritik (auch wegen fehlender Transparenz) 2022 neu aufgesetzt. Der neue „Local Engagement Plan“ (2023) verpflichtet den Bezirk nun zu einer offenen Prüfung aller Optionen. Der Ausgang ist derzeit offen – die Abrisslogik ist nicht aufgehoben, aber herausgefordert.

Cressingham Gardens steht exemplarisch für eine engagierte Mieter*innenbewegung, die durch eigene Planungsansätze und hartnäckige politische Interventionen eine einseitige Verwertungslogik infrage stellt. Die Geschichte zeigt: Eine soziale Umbaukultur beginnt mit Selbstorganisation – und braucht verlässliche institutionelle Antworten.

Links:

Leeds – „Greenhouse“ (ehemals Shaftesbury House): ökologische Denkmalsanierung (GB)

Foto (Wikipedia, CC BY-SA 4.0): Alarichall

Der 1938 eröffnete Shaftesbury House war ein städtisches „Model Lodging House“ für Saisonarbeiter. Nach Jahrzehnten des Verfalls wurde das Gebäude 2010 von der Kommune in Zusammenarbeit mit dem Projektentwickler Citu in das nachhaltige Wohnprojekt Greenhouse umgewandelt – unter Erhaltung der Grundstruktur und Fassade (Grade-II‑geschützt). Statt Abriss erfolgte ein integrativer Umbau mit rund £12,5 Mio Baukosten, finanziert u.a. über kommunale Mittel und Darlehen, unter anderem über die Co‑operative Bank.

Die Energieeffizienz wurde durch 130 mm Wanddämmung (U-Wert ca. 0,15 W/m²K), moderne Fenster, Solarkollektoren und zwei 80 m tiefe geothermale Sonden drastisch verbessert – mit etwa 60 % weniger CO₂‑Emission pro Haushalt gegenüber Neubau. Zusätzlich sorgen Regenwassernutzung, erneuerbare Energiequellen sowie Materialien aus Recycling und Wiederverwendung – etwa Teppichunterlagen aus Altreifen oder Bahnschwellen als Pflanzbehälter – dafür, den Einsatz neuer Rohstoffe zu reduzieren und Abfall zu vermeiden.

Greenhouse verbindet eine soziale Wohnnutzung mit energetischem Vorbild: 172 nachhaltige, erschwingliche Wohnungen, begleitet durch Gemeinschaftsnutzung (Café, Kulturräume), Arbeitsplatzangebote und lokale Einbindung im Beeston/Holbeck-Viertel.

Besonderheit: Die Kombination aus Denkmalpflege, kommunal-gesellschaftlicher Steuerung und ambitionierter Öko-Technologie macht Greenhouse zu einem der nachhaltigsten Retrofit-Projekte im britischen Wohnungsbau – ein Vorbild für Bestandserhalt mit ökologischem Anspruch.

Links:            

Amsterdam – Bijlmermeer: Sanierung „DeFlat Kleiburg“ (NL)

Foto (Wikipedia, CC BY-SA 3.0): Alphanille

Dieses Projekt von NL Architects und XVW Architectuur ist ein bemerkenswertes Beispiel für die Sanierung / Revitalisierung von Wohngebäuden in den Niederlanden. Anstatt das Gebäude, einen brutalistischen Megablock, abzureißen, wurde auf unkonventionelle Weise einer neuen Nutzung zugeführt.

Umbau und architektonische Qualität: Die Architekten nahmen minimale, aber präzise strukturelle Änderungen vor, wie die Neuordnung der Erschließung und die Verlegung der Aufzüge. Sie legten die ursprüngliche Materialität des Sichtbetons frei und schufen große Durchbrüche im Erdgeschoss, die das Gebäude zur Umgebung hin öffnen und Platz für gemeinschaftliche Nutzungen wie Treffpunkte und Workshop-Räume bieten.

Sozialverträgliche Entwicklung: Die Wohnungsgenossenschaft bewahrt das Gebäude vor dem Abriss, indem sie es als „Klusflat“ (eine Art DIY-Wohnung) anbot. Die neuen Eigentümer kauften die Wohnungen zu einem symbolischen Preis und renovierten sie selbst, was die Anfangsinvestitionen minimierte und den Bewohnern große Freiheit bei der Gestaltung ihrer individuellen Lebensräume gab.

Auszeichnung: Das Projekt erhielt 2017 den renommierten Mies van der Rohe Award, nicht zuletzt für seinen innovativen Ansatz zur Bewältigung der Wohnungskrise durch die Wiederbelebung von Bestandsbauten.

Links:

Zürich – Friesenberg: Familienheim-Genossenschaft Zürich (CH)

Foto (Wikipedia, CC BY-SA 4.0): Paebi

Die Genossenschaftsszene in Zürich ist ein wichtiger Motor für sozialverträglichen Bestandserhalt. Die Siedlungssanierungen und -revitalisierungen  (z.B. durch die Baugenossenschaft des eidg. Personals (BEP) oder die Genossenschaft Familienheim (FGZ)) fokussieren auf:

  • Energetische Ertüchtigung: Die Gebäude werden so saniert, dass sie moderne Energiestandards (oft Minergie-ECO) erfüllen, ohne die Mieter:innen durch stark steigende Mieten zu verdrängen.
  • Soziale Durchmischung: Oft werden im Zuge der Sanierung neue Wohnungstypen und Gemeinschaftsräume geschaffen, um eine breitere soziale Mischung zu ermöglichen.
  • Erhalt und Aufwertung: Der Fokus liegt auf der Sanierung bestehender Gebäude anstelle von Abriss und Ersatzneubau, um die Identität des Quartiers zu bewahren.
  • Kommunale Förderung: Die Stadt Zürich fördert gezielt die Sanierung von denkmalgeschützten oder inventarisierten Gebäuden und unterstützt Eigentümer bei energetischen Ertüchtigungen im Bestand. Außerdem existieren Pilotinitiativen, um soziale Nachhaltigkeit bei Sanierungen messbar zu machen – etwa durch neue Indikatoren zu Mieterbindung und sozialer Durchmischung.

Die FGZ verwaltet in Friesenberg rund 2.300 Wohnungen aus den Gründungsetappen der Gartensiedlung (1925–1934) sowie späteren Bauphasen. Ein Bundesgerichtsurteil von 2020 hat klargestellt, dass die historischen Gebäude aus den Anfangsjahren nicht abgerissen werden dürfen, sondern als erhaltenswerte Substanz gelten.

Die Genossenschaft plant derzeit umfassende Sanierungen ihrer historischen Bestandsgebäude – mit gedämmten Fassaden, erweitertem Balkonbereich und farbiger Holzverkleidung (Sanierungsstart 2025, Fertigstellung 2027) . Der Masterplan „Bauleitbild & Entwicklungsplan“ setzt seit 2004 langfristig auf den Bestandserhalt anstatt der Flächenneuentwicklung (stadt-zuerich.ch).

Bei notwendigen Umzügen innerhalb der Sanierungsblöcke werden Ersatzwohnungen in derselben Siedlung angeboten. Die Nachfrage nach internen Umzügen ist hoch – die Belegung erfolgt sozialverträglich über lange Vormerkungen.

Ein innovatives Merkmal ist das Anergy-Netzwerk Friesenberg: seit 2011 nutzt die FGZ Abwärme von nahegelegenen Rechenzentren über Wärmepumpentechnik, um rund 90 % des Heizbedarfs CO₂-arm zu decken.

Besonderheit des Projekts: Friesenberg ist nicht nur ein Beispiel für denkmalgerechten Bestandserhalt, sondern zeigt ein sozial getragenes Sanierungskonzept mit Umwelttechnik, Quartiersidentität und langfristiger mietpreisfreundlicher Perspektive – ohne Verdrängung. Das Sozial- und Ersatzwohnungskonzept stellt sicher, dass Bewohner*innen kontinuierlich im Quartier bleiben können.

Links:

25. September 2025

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In Zusammenarbeit von:LokalBau

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