Neue Kooperationen
für leistbare und offene Räume

in Friedrichshain-Kreuzberg

Beitrag

Umbaukultur statt Neubau-Verwertungs­logik

Ein neues Narrativ geprägt durch Berliner Akteure für Sanierungskultur

Immer mehr Stimmen aus Zivilgesellschaft, Stadtgesellschaft und Planungsdisziplin stellen sich gegen die vorherrschende Logik eines abrissgetriebenen Neubauparadigmas. In Berlin hat sich in den letzten Jahren eine vielschichtige Bewegung herausgebildet, die nicht nur punktuell gegen Abriss protestiert, sondern eine kulturelle und fachliche Wende hin zu einer qualitätsvollen Umbaukultur fordert. Es entsteht ein neues Narrativ – klimapolitisch notwendig, sozial verantwortungsvoll und ästhetisch vielseitig anschlussfähig.

Zugleich wird die Abrisspraxis immer deutlicher als das sichtbar, was sie in vielen Fällen ist: Ergebnis einer spekulativen Logik. Denn häufig stehen nicht funktionale Mängel im Vordergrund, sondern wirtschaftliche Interessen. Gebäude, die längst abgeschrieben sind, aber wegen geringer Mietrendite als „unwirtschaftlich“ gelten, werden abgerissen, um an gleicher Stelle höherpreisigen Neubau zu ermöglichen. Dabei gehen bezahlbare Flächen zum Wohnen und Arbeiten, gewachsene Nachbarschaften und graue Energie verloren. Gerade weil Umbau und Sanierung selten als marktwirtschaftlich prestigeträchtig gelten, fehlen positive Narrative und überzeugende Anreize. Es scheint nicht zu reichen an das Gebot zur Einhaltung der staatlich beschlossenen Klimaziele zu appellieren. Genau hier setzt die wachsende Bewegung für eine Umbaukultur an.

Professionelle Allianzen für den Erhalt

Mit der Gründung der Anti-Abriss-Allianz Berlin hat sich 2023 ein starkes Bündnis gebildet, das Planerinnen, Architektinnen, Forschende und stadtpolitisch aktive Institutionen vernetzt. Die Allianz bezieht sich auf die Petition „Manifest Substanzgesellschaft“ und fordert ein Abrissmoratorium für gemeinwohlrelevante Bestandsbauten. Das Bündnis setzt sich für transparente Entscheidungsverfahren ein, bei denen ökologische und soziale Folgen ernsthaft abgewogen werden. Prominente Beiträge im Magazin ARCH+ und auf der Plattform berlin-plattform.de haben diesem Netzwerk Aufmerksamkeit verschafft.

Auch Institutionen wie die Bauhaus Earth-Initiative, die Hermann-Henselmann-Stiftung, sowie das Natural Building Lab an der TU Berlin stärken den Diskurs mit Konzeptpapieren, Veranstaltungen und Forschungsarbeit. Auch das Deutsche Architekturzentrum DAZ hat mit dem Projekt FIX-it und der Bund Deutscher Architekten BDA mit der Reihe „Sorge um den Bestand“ haben sich in den letzten Jahren deutlich positioniert. Sie plädieren für eine Neubewertung grauer Energie, fordern einen Umbau-Fokus in der Städtebauförderung und entwickeln Formate, die Umbau als ästhetisch und sozial ambitionierte Praxis sichtbar machen.

Bürgerinitiativen mit lokalem Wissen

Gleichzeitig entstehen auf nachbarschaftlicher Ebene Bewegungen, die Abrissprojekte kritisch begleiten oder ganz verhindern wollen – nicht aus nostalgischem Konservatismus, sondern weil sie die sozialen, ökologischen und kulturellen Potenziale des Bestands erkennen. Sie entwickeln lokal verankerte Gegenentwürfe zur Verwertungslogik. Beispiele:

  • Die selbstorganisierte Initiative „Hafenplatz retten“ in Berlin-Kreuzberg kämpft mit sozial-ökologischer Argumentation für den Erhalt des großen Wohngebäudes, in dem eine sehr große soziale Vielfalt besteht. Sie gehen kollektiv gegen Entmietungsstrategien vor fordern den Erhalt von bezahlbaren Wohnraum, die Verhinderung von Verdrängung, die (Wieder-)Herstellung guter Wohnbedingungen und die Vergsellschaftung des Areals.
  • Initiative „SEZ für alle“ in Berlin-Friedrichshain will den ikonischen DDR-Bau bewahren/schützen und gemeinwohlorientiert weiterentwickeln – als Ort für Sport, Begegnung und Kultur.
  • Initiative „Sorge ins ParkCenter“ zeigt, wie veraltete Shopping-Architekturen durch Umnutzung zu Sorgezentren und sozialen Infrastrukturen transformiert werden könnten – ein Modellvorschlag mit Breitenwirkung für die gesamte Stadt.

Diese Initiativen bauen auf dem Erfahrungswissen der Bewohner*innen auf, auf kultureller Ortsbindung und einer tiefen Kenntnis des funktionierenden Alltags im Bestand. Sie bringen soziale, emotionale und funktionale Argumente in die Debatte ein – und machen deutlich, dass sich die Qualität urbaner Räume nicht in Quadratmeterpreisen bemisst.

Ein neues Narrativ für Berlin

Diese Akteure erschaffen ein neues Narrativ der Stadtentwicklung:

  • Umbau ist kein Rückschritt, sondern Ausdruck von Intelligenz, Nachhaltigkeit und sozialer Verantwortung.
  • Der Bestand ist keine Altlast, sondern Ressource – historisch, materiell, sozial.
  • Erhalt bedeutet nicht Stillstand, sondern Weiterentwicklung im Sinne der Stadtgesellschaft.
  • Ökonomischer Erfolg muss nicht auf maximaler Rendite beruhen, sondern kann auch in langfristiger Werterhaltung, sozialer Balance und kultureller Kontinuität liegen.

Die laufende Debatte über eine neue Internationale Bauausstellung (IBA) in Berlin bietet die Chance, diese Haltung zu stärken. Doch es braucht mehr als Worte: Es braucht konkrete Umbauprojekte mit Vorbildcharakter, eine politische Offensive für Förderinstrumente jenseits der Abrisslogik – und eine kulturelle Aufwertung dessen, was Bestand ist. Eine neue Umbaukultur mit Anerkennung, Gestaltungslust und öffentlichem Rückhalt, muss zur tragenden Erzählung der zukunftsfähigen Stadt werden.

25. September 2025

Beitrag im Netzwerk

In Zusammenarbeit von:LokalBau

Ist ein Beitrag zur Baustelle:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert