Kooperationsplattform / Gemeinwohlorientierung

Was meint ›Gemeinwohlorientierung‹ eigentlich?

Begriff im Werden

In den letzten Jahren ist im Politikfeld der Stadtentwicklung vermehrt von einer gewünschten Gemeinwohlorientierung zu hören. Dabei ist nicht immer ganz eindeutig, was jeweils damit gemeint ist, denn das allgemein gültige Begriffsverständnis ist noch in Entwicklung. Die einen sagen deshalb wäre der Begriff „schwammig“, andere nennen ihn positiv gemeint „entwicklungsfähig“ und noch andere lehnen den Begriff quasi „forsichtshalber“ gleich ab.

Immer wird der Begriff ›Gemeinwohlorientierung‹ verwendet, wenn es darum geht, eine Abgrenzung zum konträren Begriff der ›Profitorientierung‹ deutlich zu machen. Gemeinwohlorientierung in der Stadtentwicklung bedeutet eindeutig, dass Projektentwicklungen nicht auf das vorrangige Ziel der Erwirtschaftung von Rendite für Einzelne oder eine Gruppe – für sogenannte ›Investor*innen‹ – ausgerichtet sein können, sondern dass als Entwicklungsziel in den Blick genommen wird, was das Projekt der Allgemeinheit bringt. In diesem Zusammenhang wird manchmal von der „Stadtrendite“ gesprochen, also dem Nutzen eines Projektes für die Stadtgesellschaft. Oft ist damit auch verbunden, dass die Allgemeinheit oder Umgebung an Abwägungs- oder Entscheidungsprozessen beteiligt sein muss, denn das Gemeinwohl ist nie als Absolutes greifbar, sondern immer nur im Kontext der jeweiligen konkreten Begebenheiten.

Das Gemeinwohl bzw. das öffentliche Interesse ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, es bedarf daher einer Ausfüllung dieses Begriffs im konkreten Einzelfall. Dabei ist von einem verfassungsstaatlichen Gemeinwohlverständnis auszugehen, das sich an den „Gemeinwohlwerten“ des Grundgesetzes wie Menschenwürde, Freiheit, Rechtssicherheit, Frieden und Wohlstand und damit an den Grundrechten, dem Rechtsstaats-, Sozialstaats- und Demokratieprinzip festmachen lässt.

(vgl. von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, 1977, S. 22 ff.).
Quelle: https://www.anwalt24.de/lexikon/gemeinwohl

Bedarfe sollen gedeckt werden

Bei der Abwägung der Nutzen werden die Kosten eines Projektes selbst­verständ­lich nicht ausgeblendet, aber das Verhältnis von Kosten und Nutzen soll so ausge­handelt werden, dass auf der Seite der Nutzen nicht nur direkte finanzielle Rendite zählt, sondern alles was dem Gemeinwohl (= dem Gemeinwesen, der Gesell­schaft) nutzt. Bewertet wird die Abwägung immer gegenüber dem bestehenden oder prognos­tizierten Bedarf, wobei als Bedarfe erscheint, was sich die Menschen nicht aus eigener wirtschaft­licher Kraft heraus leisten können, aber für ein würdiges Leben brauchen. Geläufig ist hier der Begriff der Daseinsvorsorge, die der gemeinsamen Gesellschafts­organisation obliegt. Ein funktio­nierendes Gemein­wesen sorgt dafür, dass die Menschen in ihrem Dasein im Rahmen der Menschen-, Grund- und Bürger*innen­rechte nicht beschränkt werden.

Zuständigkeit fürs Gemeinwohl

Je nach politischem Verständnis gibt es sehr unterschiedliche Positionen dazu, welche gesellschaftlichen Akteur*innen in welchem Ausmaß für die Daseinsvorsorge zuständig sein sollten. In der Regel sind diejenigen, die meinen, Projekte der Stadtentwicklung müssten sich für die Investor*innen finanziell lohnen, auch der Meinung, dass ein möglichst wenig regulierter Markt ein funktionierender Mechanismus zur Herstellung von Bedarfsdeckung sei. Sie gehen davon aus, der Markt mache eine öffentlich organisierte Daseinsvorsorge weitgehend überflüssig.

Die aktuelle Sozialforschung zeigt allerdings sehr klar auf, dass gerade im Bereich Stadtentwicklung keine Bedarfsdeckung erreicht wird und der Pfad der Stadtentwicklung ohne Regulierung auch in die falsche Richtung geht. Weder bei der Preisentwicklung für Wohnen oder Gewerbe, noch beim Ausbau von Flächen für soziale Einrichtungen führt das Marktgeschehen dazu, dass die Stadt in die Richtung des Bedarfs wächst. Dementsprechend ist das Bewusstsein in Politik und Verwaltung gewachsen, dass die ›öffentliche Hand‹ stärker in stadtplanerische Prozesse eingreifen muss, und die Zuständigkeit zur Daseinsfürsorge weiter fassen muss.

Wenn trotz des hohen Bedarfs nach Formen des Gemeinschaftswohnens, nach innerstädtischen Produktionsflächen fürs Handwerk, nach dem Ausbau von Kita-Plätzen, nach Grünflächen und Klimaanpassung – um nur ein paar eklatante Mangelzustände zu nennen – im privaten Bausektor so gut wie keine Flächen für solche Nutzungen hinzukommen, statt dessen sogar kontinuierlich aus dem Bestand verdrängt werden, dann ist der Markt nicht nur auf ganzer Breite gescheitert, sondern stellt sogar die Gegenposition zum Gemeinwohl dar.

Kooperation und Beteiligung als Voraussetzung für Gemeinwohlorientierung

Wie oben bei der Definition aus dem Lexikon schon deutlich wird, bezieht sich das Verständnis hinsichtlich einer Gemeinwohlorientierung auf Werte und Normen, die eine Gesellschaft für sich in einem gemeinschaftlichen Prozess definiert. Der einzelne Mensch wird im demokratischen Gemeinwesen zu einem ›sozialen Wesen‹, in dem sich der/die Einzelne mit dem gesellschaftlichen Umfeld auseinandersetzen und dieses selbst in Abstimmung mit den Anderen aktiv und für alle annehmbar mit-gestaltet. Eine Form der ›Beteiligung‹ ist darum als Voraussetzung und Ressource für die Gemeinwohlorientierung anzusehen.

Wobei auch hier wieder in Abhängigkeit der jeweiligen Kontexten abgewogen werden muss. Gemeinwohlorientierung ist nicht dadurch definiert, dass jede Entscheidung über standardisierte Beteiligungsverfahren errungen wurde. Viele (Verwaltungs-)Entscheidungen sind ohnehin schon über statistische oder andere Datenerfassungen mit den Bedarfen der Allgemeinheit rückgekoppelt und manchmal ist die Möglichkeit zur Beeinflussung einer Entscheidung so minimal, dass eine breite Beteiligung in keinem vernünftigen Verhältnis zum Effekt und zur dann sehr beschränkten Selbstwirksamkeit stehen würde.

Im Interesse der Allgemeinheit

Wichtig ist, dass das Gemeinwesen ›Werkzeuge‹ bekommt, die eine aufs Gemeinwohl orientierte Stadtplanung möglich machen. Es geht darum, die Interessen der Allgemeinheit gegen die Profit-Interessen Einzelner rechtssicher zu wahren. Prinzipiell ist das kein neuer Gedanke im Bereich Stadtentwicklung. Der Zugriff aufs Eigentum an Grund und Boden ist hier immer schon reglementiert und beschränkt durch raumplanerische Konzepte. Die verschiedenen Aspekte des Baurechts (z.B. Bauordnungen und Bauleitplanung) legen fest, was Eigentümer*innen bauen dürfen und was nicht. Doch noch sind die Werkzeuge zur garantierten Bedarfsorientierung der Allgemeinheit nicht ausreichend.

Sichtbar wird das z.B. an den vielen erst in den letzten Jahren gebauten Shopping-Malls in Berlin, die zum großen Teil nicht wirtschaftlich geführt werden können, weil es schlicht den Bedarf an so vielen hochpreisigen Verkaufsflächen nicht gibt. Trotzdem war genug Geld da, um nicht gebrauchte Immobilien herzustellen und die Behörden „mussten“ die Projekte genehmigen.

Inzwischen besteht mancherorts der Wille bei den Investor*innen, die weitgehend leerstehenden Malls wieder abzureißen oder umzubauen. Aus Sicht einer Gemeinwohlorientung stellen sich solche Prozesse der ›Anpassung an den Markt‹ eben nicht als planvolle ›Anpassung an Bedarfe‹ dar, sondern die Projektabfolge von Neubau, Abriss und wiederholtem Neubau ist schlicht als Verschwendung an Ressourcen (extrem negative Öko-Bilanz) und Belastung für die Sozialräume, bzw. die Stadt als Ganzes zu werten.

Stadt-machen in nachhaltiger Koproduktion

Ein wesentlicher Faktor zur Erreichung einer auf Bedarfe ausge­richteten Planung ist das Prinzip der ›Koproduktion‹. Damit ist gemeint, dass sämtliche Phasen der Vorbe­reitung, Planung, des Baus und Betriebs in gemein­schaft­licher Abstimmung passieren – also von Verwaltungs­einheiten und gemein­wohl­orientierten Immobilien­akteur*innen bzw. Betreiber*innen von bedarfs­gerechten Nutzungs­konzepten, die sich in Kooperations­gemeinschaften zusammenfinden.

Sind die kooperierenden Akteur*innen über ihre Organisations- oder Gesellschaftsformen demokratisch verfasst (z.B. Mietshäuser Syndikat-Initiativen oder Genossenschaften mit entsprechenden Satzungen), werden die koproduzierten Immobilien über die kollektive Eigentumsform auch nachhaltig aus dem spekulativen Handel rausgehalten. Anders wie z.B. beim bisherigen sozialen Wohnungsbau, wo Tausende Wohnungen aus den nach und nach ablaufenden Bindungen (= Wohnungen müssen an WBS-Berechtigte vergeben werden) fallen.

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